Ramayana

Râmâyana (sanskr., „die Schicksale des Râma“), ind. Epos, angeblich von Wâlmîki verfaßt, jedenfalls das Werk eines Kunstdichters, dem spätere Redaktion wohl nur weniges hinzugefügt hat, und das darum in der Anreihung der Hauptbegebenheiten und der Einfügung der Episoden von viel höherm künstlerischen Wert als das Mahâbhârata (s. d.) ist. Es ist in mindestens drei Rezensionen auf uns gekommen, von denen die gangbarste, die bengalische, 24,000 Strophen (Sloka) in sieben Büchern zählt; alle drei sind wahrscheinlich Erweiterungen einer unbekannten, kürzern Fassung.

Inhalt ist die allegorische Darstellung des Vordringens der arischen Inder nach Südindien und Ceylon, dessen feindliche Bewohner als Dämonen dargestellt werden, während die der arischen Kultur sich geneigt zeigenden Ureinwohner des Dekhan als Affen erscheinen. Die abweichende Ansicht von A. Weber, daß vielmehr der Kampf zwischen ((Brahmanismus)) und ((Buddhismus)) dargestellt werde, sowie seine Behauptung, daß Bekanntschaft mit den Homerischen Gedichten wesentlichen Einfluß auf die Gestaltung des Sagenstoffs gehabt habe, hat sich keiner weitgehende Billigung erfreut.

Entstanden ist das R. wohl in den letzten Jahrhunderten vor Christo. Das öffentliche Leben des indischen Volkes dieser Zeit kommt darin zu vollem Ausdruck; es ist ein echtes Heldengedicht, voll von packenden Schilderungen der Thaten der einzelnen Heroen. Der Inhalt ist kurz folgender:

Erstes Buch: König Dasaratha von Ayodhya (Audh) ist ohne männlichen Nachkommen und veranstaltet zur Erlangung eines solchen nach alter Sitte ein kostbares Opfer. In der That werden ihm von vier Frauen vier Söhne geboren, darunter Râma, in welchem sich Gott ((Wischnu)) (s. d.) zur Erde herabläßt, um den Dämon Râwana, der auf Ceylon gegen die frommen Einsiedler wütet, zu vernichten. Als Jüngling schon erweist sich Râma als Held; durch Spannen eines vom Gott Siwa (s. d.) herrührenden Bogens, den 5000 Menschen herbeifahren mußten, gewinnt er Sîtâ, die schöne Tochter des Königs von Mithila (Tirhut in Bengalen), und kehrt mit ihr als seiner Gemahlin in die Heimat zurück.

Zweites Buch: Obschon Râma zum Thronerben ausersehen ist, erwirkt doch die Mutter seines Halbbruders Bharata diesem die Thronfolge auf Grund eines unbedacht gemachten Versprechens des Vaters. Râma wird mit Sîtâ verbannt, zieht sich willig in die Waldgebirge zurück und lebt hier umgeben von einer Schar Einsiedler, die er durch die Kraft seines Arms vor den Angriffen der Dämonen beschützt. Bharata erfährt erst nach dem Tode des Vaters seine Bevorzugung vor Râma, weigert sich, den Thron einzunehmen, kann aber den Bruder nicht zur Übernahme der Regierung bestimmen; der edel gehaltene Wettstreit der beiden Brüder schließt mit Bharatas Erklärung, das Reich nur für Râma verwalten zu wollen.

Drittes Buch: Schilderung von Râmas Wanderungen im mittlern Indien, und wie die Schwester Râwanas in Liebe zu Râma entbrennt, von diesem aber zurückgestoßen wird, wofür sie sich dadurch rächt, daß sie ihrem Bruder Râwana, den das Gedicht als ein erschreckliches Ungeheuer darstellt, Liebe zu Sîtâ einflößt; Râwana lockt mit Hilfe einer goldenen Gazelle Râma in das Walddickicht und entführt dann Sîtâ durch die Luft in seinen Palast auf Lankâ (Ceylon). Sîtâ weist alle Anträge ihres Räubers von sich, und dieser überantwortet sie dafür Rachegeistern zur Peinigung. Durch einen Göttervogel erfährt Râma den Namen des Räubers und die Richtung seiner Flucht, nicht aber seinen Wohnsitz.

Viertes Buch: Auf seinen Rat setzt Râma den vertriebenen Affenkönig wieder auf seinen Thron, und aus Dankbarkeit sendet dieser seine ganze Affenarmee aus zur Aufsuchung der entführten Sîtâ. Der unter dem Affen Hanumân südwärts gesandten Abteilung gibt Râma seinen Ring mit als Erkennungszeichen für Sîtâ; wirklich erhält Hanumân sichere Kunde von Sîtâs Aufenthalt auf Ceylon.

Fünftes Buch: Schwimmend setzt Hanumân über die Indien von Ceylon trennende Meerenge, überwindet alle Schwierigkeiten und händigt Sîtâ den Ring ein. Sein Anerbieten, sie auf seinem Rücken durch die Luft zurückzubringen, weist Sîtâ zurück, „weil sie keines andern Leib berühren könne als den ihres Mannes“. Nach mannigfachen Schicksalen gelangt Hanumân glücklich wieder zu Râma, und dieser setzt sich sofort an die Spitze einer Armee von Menschen und Affen gegen Ceylon in Bewegung. Râwana wird von den Seinigen zur Auslieferung Sîtâs gedrängt, schlägt jedoch seine Ratgeber nieder, worauf Râma den Meergott zwingt, ihm eine Brücke bauen zu helfen, was durch Auftürmen der Adamsbrücke (s. d.) geschieht. Râma setzt nach Lankâ (Ceylon) über.

Sechstes Buch: Schilderung des Kampfes Râwanas und seiner dämonischen Spießgesellen mit Râma und seinen Helden von göttlicher Kraft; der Kampf dreht sich um die Einnahme der Hauptstadt Lankâ und spielt sich vorwiegend in massenhaftem Hinschlachten durch die beiderseitigen Helden ab. Râma wird mehrmals tödlich verwundet, aber jedesmal bringen seine Affenfreunde aus dem Himalaja heilkräftige Kräuter herbei. Endlich kommt es zur Hauptschlacht, die sieben Tage und Nächte dauert und hin- und herschwankt, bis Râma, der immer vergeblich auf Râwana eindringt, von einem Gotte die Stelle verraten wird, an welcher allein der Dämon tödlich verwundbar ist. Râwana fällt, damit auch die Stadt, und Sîtâ wird befreit. Vom Verdacht, von Râwana berührt worden zu sein, reinigt sie sich durch ein Gottesurteil, indem sie unversehrt über einen brennenden Holzstoß dahinschreitet, worauf Râma erklärt, nur der Welt wegen habe er solche öffentliche Probe für nötig erachtet. Das Heer zieht ab, die getöteten Affen und Bären werden vom Gott ((Indra)) (s. d.) wieder ins Leben zurückgerufen, Hanumân mit ewiger Jugend belohnt; Râma und Sîtâ kehren auf dem Götterwagen nach Audh zurück, und Râma, feierlich gekrönt, übernimmt nun die Regierung. Der indischen Anschauung von der Unmöglichkeit, auf Erden zur Ruhe zu kommen, entsprach ein so befriedigender Abschluß nicht.

Ein siebentes Buch führt deshalb aus, daß Râma sich wieder Zweifel an Sîtâs Unschuld einredete und sie verbannte; diese will von der Erde verschlungen werden, und da die Erde sich spaltet und Sîtâ aufnimmt, so ist sie zum zweitenmal gerechtfertigt, für Râma aber verloren. Nun wird der trauernde Râma vom Gott ((Wischnu)) an seinen Ursprung aus ihm erinnert; er steigt unter großen Feierlichkeiten in den Fluß Sarayu (Gogra) und kehrt wieder in den Götterhimmel zurück.

Ausgaben der ersten zwei Bücher von Carey und Marshman (Serampur 1806-10, 3 Bde.) und A. W. v. Schlegel (Bonn 1829-38, 2 Bde.), des ganzen Epos von Gorresio mit italienischer Übersetzung (1843-70), ferner Kalkutta 1859-60, Bombay 1859. Eine französische Übersetzung des Gedichts lieferte Fauche (nach Gorresio), eine englische in Versen Griffith (Lond. 1870-74, 5 Bde.); das zweite Buch wurde ins Deutsche übertragen von A. Holtzmann (2. Aufl., Karlsr. 1843, und in „Indische Sagen“, Bd. 2). Auszüge und Analysen finden sich bei Williams, „Indian epic poetry“ (Lond. 1863), und in Wheelers „History of India“, Bd. 2 (das. 1869). Vgl. A. Weber, Über das R. (Berl. 1870).

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